„Zero Impact gibt es nicht. Ich erkläre Ihnen warum“

Nachhaltigkeit
„Zero Impact gibt es nicht. Ich erkläre Ihnen warum“

Interview mit Professorin Ada Rosa Balzan

 

„Umweltfreundlich“, „100 % natürlich“, „Zero Impact“. Das sind die gängigsten Ausdrücke, um von einer Nachhaltigkeit zu erzählen, die es nicht gibt. Die betrügerischen Stimmen des Greenwashings. Dieses Thema packt Ada Rosa Balzan, Expertin und Dozentin für Nachhaltigkeitsstrategien an verschiedenen italienischen Universitäten und Business Schools, in ihrem letzten Buch mit dem nicht zufälligen Titel „L’impatto zero non esiste“ (dt. Zero Impact gibt es nicht) an, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen

 

 

Frau Balzan, warum haben Sie diesen Titel gewählt?

Ich wollte eine sehr klare Botschaft vermitteln, die denjenigen, die sich beruflich mit Nachhaltigkeit befassen, wohl bekannt ist, die aber den Verbrauchern und Verbraucherinnen oft entgeht. Oftmals wird eine solche Formel für Produkte und Dienstleistungen verwendet, die sich als „green“ bezeichnen ohne es wirklich zu sein. Aber Vorsicht: Zero Impact bzw. Null Auswirkungen gibt es, strenggenommen, nicht, denn jede Entscheidung hat Auswirkungen. Wenn wir sprechen, stoßen wir CO2 aus, wenn wir mit dem Auto zur Arbeit fahren, verursachen wir Emissionen, wenn wir einen Gegenstand kaufen, erzeugen wir Auswirkungen. Kurz gesagt, verursacht jede unserer Handlungen allein durch die Tatsache, dass wir auf der Welt sind, sowohl soziale als auch ökologische Auswirkungen. Es gibt jedoch gute Absichten und eine gute Governance, um die negativen Auswirkungen zu minimieren.

Was können wir tun, um unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern?

Zuallererst müssen wir die Auswirkungen kennen, die wir verursachen: Nachhaltigkeit ist eine exakte Wissenschaft, also geht es um Messungen. Wir müssen uns selbst Verbesserungsziele und Werte setzen, an denen wir uns orientieren. Das erste italienische Urteil bezüglich Greenwashing hat die Bedeutung der Messung der Nachhaltigkeit deutlich gemacht: Handeln kommt vor Kommunizieren.

Können Sie uns die vier Eckpfeiler näher erläutern, die Sie in Ihrem Buch erwähnen und die Unternehmen im Nachhaltigkeitsprozess begleiten müssen?

Ja, sie lauten: verstehen, entwickeln, umsetzen und kommunizieren. Das ist der richtige Ansatz, um den Weg der Nachhaltigkeit einzuschlagen. Wie Sie sehen können, ist die Kommunikation nur der letzte Schritt. Zuerst müssen wir verstehen.

Aber wie kann man sich bei den vielen Zertifizierungen orientieren?

Wir müssen international anerkannte Standards wie die ISO übernehmen, denn nur auf diese Weise können wir die Kultur der Nachhaltigkeit verbreiten. Aber es gibt keine Zertifizierung, die für alle Bereiche gilt, und vielleicht ist das die Schwierigkeit. Deshalb rate ich den Unternehmen immer, mit einem internen Check-up zu beginnen: Fragen Sie sich, wie Sie Ihr Personal verwalten, welchen Verbrauch Sie haben und wie Sie ihn abbilden, wie Sie mit den Stakeholdern kommunizieren, welchen Mehrwert Sie für das Gebiet generieren. Das ist ein anspruchsvoller Weg, und oft haben Unternehmen Angst davor, aber es ist sehr wichtig, ihn zu gehen. Nur dann können wir verstehen, welche Zertifizierung für uns die richtige ist und wie wir sie erlangen können. Denken Sie schließlich an den Nachhaltigkeitsbericht, der ein wichtiges Instrument für die Überwachung, Kommunikation und Einbeziehung ist.

L'impatto zero non esiste 2

Können Nachhaltigkeit und Gewinn für Unternehmen Hand in Hand gehen?

Der Schlüssel dazu ist, zu verstehen, dass ein nachhaltigkeitsorientiertes Unternehmen vom Begriff Gewinn zum Begriff Wohlstand übergeht, d. h. einem Reichtum, der von allen Stakeholdern geteilt wird und sich auf das gesamte Gebiet auswirkt und mit dem Wert immaterieller Güter verankert ist. Ein wirtschaftlicher Ertrag ist zwar möglich, aber Investitionen in Nachhaltigkeit zahlen sich mittel- bis langfristig aus. Ein nachhaltiges Produkt ist qualitativ besser, und das erzeugt auch bei den Kunden einen höheren wahrgenommenen Wert.

Besteht in dieser Phase, die von Inflation, Krise und allgemeiner Unsicherheit gekennzeichnet ist, die Gefahr, dass die ESG-Ziele in den Hintergrund rücken?

Wir hören das von vielen Seiten, aber ganz im Gegenteil. Gerade in dieser Phase ist Nachhaltigkeit entscheidend für den Zugang zu Krediten mit besseren Konditionen. Eine Nachhaltigkeitsanalyse vorzunehmen, bedeutet, Risiken besser zu lenken und sie sorgfältig zu überwachen, was für Unternehmen sehr wichtig ist und auch für den Investmentmarkt im Mittelpunkt steht. Außerdem hat das Coronavirus den Wettlauf in Richtung Nachhaltigkeit paradoxal beschleunigt: Früher war es für Unternehmen ein „Nice-to-have“, heute ist es praktisch ein „Must-have“. Die Lieferketten werden nämlich auch auf ihre ESG-Leistung hin überwacht.

Aber sind wir uns dessen in Italien wirklich bewusst?

In Italien glauben wir, dass Nachhaltigkeit vor allem etwas mit der Umwelt zu tun hat, aber in Wirklichkeit ist das nicht so. Es sind die menschlichen Aktivitäten, die am schwersten wiegen. Man bedenke nur, dass nach Angaben des Sustainability Accounting Standards Board, der Organisation, die die Standards für die Nachhaltigkeitsbilanzierung erstellt und auch als Referenz für Fonds wie Black Rock dient, von 26 überwachten Themen nur 6 davon Umweltthemen sind. Der Rest verteilt sich auf 10 Governance- und 10 Sozialthemen. Dies verzerrt die italienische Wahrnehmung.

Sie lehren an vielen Universitäten: Wie verändern sich die Berufe im Bereich der Nachhaltigkeit?

Als ich vor Jahren sagte, dass Unternehmen einen Nachhaltigkeitsmanager bzw. eine Nachhaltigkeitsmanagerin brauchen, schenkten mir nur wenige Glauben. In den Unternehmen gab es bereits EnergiemanagerInnen und CSR-ManagerInnen, und man dachte, das sei ausreichend. In Wirklichkeit hat man erkannt, dass das nicht stimmt. Der/Die NachhaltigkeitsmanagerIn ist für das tägliche und strategische Management der Nachhaltigkeit in einem Unternehmen unverzichtbar, weil er oder sie über Fachwissen in Bezug auf Reputations- und Finanzrisiken, Umweltauswirkungen und Unternehmensstrategien verfügt. Es handelt sich zweifellos um einen der Berufe der Zukunft.

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